Pressemitteilung: Juristische Berufsorganisationen fordern die Politik auf, die Justiz besser abzusichern und vor Eingriffen zu schützen

BGHP ruft zur Teilnahme an der Menschenkette um den Bundestag des Netzwerkes „Hand in Hand“ am 3. Februar um 13.00 Uhr in Berlin auf

BAG-Urteil zur Videoüberwachung

Wenn Videoaufnahmen unter Verstoß gegen geltende Datenschutzbestimmungen zustande gekommen sind, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber die Aufnahmen gleichwohl als Beweis für Pflichtverletzungen der Arbeitnehmer*innen im Kündigungsschutzprozess nutzen darf.

Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass dies zulässig sein kann (Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22): „In einem Kün­di­gungs­schutz­pro­zess be­steht grund­sätz­lich kein Ver­wer­tungs­ver­bot in Bezug auf sol­che Auf­zeich­nun­gen aus einer of­fe­nen Vi­deo­über­wa­chung, die vor­sätz­lich ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­le­gen sol­len.“ Das gilt auch dann, wenn die Über­wa­chungs­maß­nah­me des Ar­beit­ge­bers nicht voll­stän­dig im Ein­klang mit den Vor­ga­ben des Da­ten­schutz­rechts steht, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt.

Kündigung wegen vorgetäuschter Ableistung einer Arbeitsschicht

Der Kläger war in der Gießerei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte wirft dem Kläger Arbeitszeitbetrug vor, da er das Betriebsgelände noch vor Beginn seiner Schicht verlassen und gleichwohl Vergütung dafür erhalten habe. Kenntnis von dem Verhalten des Arbeitnehmers erlangte die Arbeitgeberin durch einen anonymen Hinweis auf die Aufzeichnungen der nicht zu übersehenden Videokamera am Tor des Werksgeländes. Sie sprach daraufhin eine außerordentliche, fristlose Kündigung und hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus.

BAG bejaht Verwertbarkeit des Überwachungsvideos

Mit seiner dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden. Die Hinweisschilder zur Videoüberwachung wiesen eine Speicherdauer von 96 Stunden aus, die hier überschritten worden sei. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem BAG bis auf einen Antrag betreffend ein Zwischenzeugnis Erfolg. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das LAG. Das LAG musste laut BAG nicht nur das Vorbringen der Beklagten zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger vor Beginn der Schicht zugrunde legen, sondern gegebenenfalls auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung in Augenschein nehmen.

Offensichtlich vertragswidriges Verhalten steht datenschutzrechtlichen Bedenken entgegen

Dabei spiele es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des BDSG oder der DS-GVO entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DS-GVO nicht ausgeschlossen, meint das BAG. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall sei es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat. Die Gerichte müssen die Interessen der Streitparteien abwägen und in einen angemessenen Ausgleich bringen. Sofern es – wie hier – um die Datenverarbeitung durch eine offene Videoüberwachung und einen vorsätzlichen Pflichtverstoß des Arbeitnehmers geht, wiegt das Aufklärungsinteresse des Arbeitgebers höher als die Datenschutzinteressen des Arbeitnehmers.

Kein generalpräventives Verwertungsverbot wegen schwerwiegender Grundrechtsverletzung

Aspekte der Generalprävention könnten allenfalls dann zu einem Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers führen, wenn sich die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers als solche trotz ihrer offenen Durchführung als schwerwiegende Verletzung des durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechts darstellt (denkbar z.B. bei offener Überwachung von Toiletten oder Umkleideräumen oder offener Dauerüberwachung ohne Rückzugsmöglichkeit). Das sei vorliegend nicht der Fall gewesen.

Fazit und Auswirkungen für die Praxis:

Beweise, die unter einem Verstoß gegen Datenschutzrecht erlangt werden, unterliegen damit keinem universellen Verwertungsverbot. Das gilt jedoch nur so lange, wie durch die Gewinnung der Beweise keine Grundrechtsverletzungen oder gravierenden Datenschutzverstöße begangen wurden. In solchen Fällen kann eine Beweisverwertung trotz vorsätzlichem Pflichtverstoß der Arbeitnehmer*innen ausgeschlossen sein. Die Frage nach der Beweisverwertung ist stets im Einzelfall anhand einer Abwägung der Interessen der Betroffenen zu beantworten und pauschale Aussagen zur Verwertbarkeit sind damit unmöglich.

Den Link zum BAG Urteil vom 29.06.2023 – 2 AZR 296/22 finden Sie hier:

2 AZR 296/22 – Das Bundesarbeitsgericht

Ihr BGHP-Team